Liegenschaften, die nicht mehr dem Stand der Zeit entsprechen, kann man rückbauen, umbauen, sanieren oder einfach belassen, wie sie sind. Wer unvoreingenommen und frei von Ideologien plant, kann Grosses schaffen. Zum Beispiel im Bereich des nachhaltigen Bauens.
In Baar, direkt an der Stadtgrenze zu Zug und angrenzend an die Landwirtschaftszone, besitzt Allreal das Bürogebäude «Baarermatte». Der Massivbau mit Baujahr 1981 hat eine veraltete Gebäudetechnik, keine Lüftung und keine Klimatisierung, dafür ein halb versenktes, halb aus dem Erdreich ragendes Untergeschoss mit über 3 Metern lichter Raumhöhe. Und es steht auf einem Grundstück mit einer Ausnutzungsreserve von rund 8000 Quadratmetern.
Ende 2020 haben wir uns entschieden, dem Grundstück neues Leben einzuhauchen und die Baarermatte in ein Leuchtturmprojekt in Sachen Nachhaltigkeit zu überführen. Das höchst ambitionierte Ziel: Bei der Erstellung und im späteren Betrieb der Liegenschaft nicht mehr als 6 Kilogramm CO2-Äquivalent pro Quadratmeter Energiebezugsfläche (EBF) und Jahr zu verursachen. Die Vorgaben im anschliessend mit vier eingeladenen Architekturbüros durchgeführten Studienauftrag waren deshalb klar: Möglichst weitgehender Holzbau, minimaler Einsatz von Beton, Photovoltaik und eine innovative Parkierungslösung ohne Tiefgarage. Zudem sollte aufgezeigt werden, wie Teile des bestehenden Gebäudes weiterverwendet werden können und die Ausnutzungsreserve beansprucht werden kann.
Die vier Projekteingaben wurden nicht nur anhand architektonischer und wirtschaftlicher Kriterien beurteilt. Mittels eines eigens entwickelten Tools hat das Ingenieurbüro Basler & Hofmann die Einhaltung des Nachhaltigkeitsziels überprüft. Das auf den ersten Blick erstaunliche Ergebnis: Das Siegerprojekt des Luzerner Architekturbüros Roman Hutter Architektur hat mit einer Nutzung von nur 5% des Bestandsbaus den tiefsten CO2-Wert erreicht. Im Vergleich: Das Projekt, welches 80% des Bestands nutzt, wies den höchsten Wert auf. Ursina Caprez, Teamleiterin Projektentwicklung bei Allreal und Projektleiterin der Baarermatte unterstreicht die Wichtigkeit dieser Erkenntnis: «Eine präzise Analyse und nüchterne Gegenüberstellung von Varianten ist die richtige Herangehensweise, um das Ziel des treibhausgasarmen Bauens zu erreichen. Im Fall der Baarermatte kann mit einem vollständigen oder substanziellen Erhalt des Bestandes das anspruchsvoll gesteckte Ziel von 6 kg CO2e/m²a EBF nicht erreicht werden. Der Erhalt eines Gebäudes oder Teilen davon, führt demnach nicht zwingend zu einem Vorteil bei einer möglichst nachhaltigen Entwicklung und zeigt, dass eine ideologische Haltung einer nachhaltigen Entwicklung sogar im Weg stehen kann.»
Die vier wichtigsten Standbeine, die die Baarermatte zusätzlich zum tiefen CO2-Wert zu einem nachhaltigen Vorzeigeprojekt machen:
Holzbau
Holzbau ist nicht gleich nachhaltiger Holzbau. Das für die Baarermatte verwendete Holz stammt aus nachhaltig bewirtschafteten Zentralschweizer Hochwäldern. Es wird weitestgehend nur verdübelt und nicht verleimt.
Re-Use
Bauteile aus dem Bestandsbau erhalten im Neubau ein zweites Leben. Seien es Betondecken, die neu als Treppenhauswände dienen oder Stützen, die in den Neubauten wieder verbaut werden: Je weniger die Bauteile bearbeitet werden müssen und je kürzer der Transportweg ist, desto besser die CO2-Bilanz im Vergleich mit der Neuproduktion.
Mobilitätsturm
In der Baarermatte werden die Autos in einem vollautomatisch betriebenen Hochregallager geparkt. Das benötigt wenig Platz und mit dem Verzicht auf eine unterirdische Tiefgarage kann viel Beton, und somit graue Energie, eingespart werden.
Schwammstadt
Das anfallende Oberflächenwasser kann unter den auf Pfählen stehenden Gebäuden hindurch offen
in die Retentionsmulden fliessen. Der Wasserfluss wird so verlangsamt und das Wasser kann verzögert in Richtung Bach abgegeben werden. Eine Umgebungsgestaltung mit möglichst unversiegelten Flächen fördert die Biodiversität und sorgt durch die langsame Verdunstung von gespeichertem Regenwasser für ein gutes Umgebungsklima.
Das Ergebnis ist ab Mitte 2028 ein lebenswerter Wohn- und Arbeitsort mit Pioniercharakter. 110 Mietwohnungen, 10 Ateliers und rund 6600 m² Büroflächen umfasst die Baarermatte, im Mobilitätsturm finden 137 Autos Platz.
Bauherrschaft | Allreal-Gruppe, Glattpark |
Projektentwicklung | Allreal-Gruppe, Glattpark |
Totalunternehmer | Allreal-Gruppe, Glattpark |
Architektur | Roman Hutter Architektur GmbH, Luzern |
Umfang | 110 2½- bis 5½-Zimmer-Mietwohnungen, 10 Ateliers, 6600 m² Büro- und Gewerbefläche und ein Mobilitätsturm mit 137 Parkplätzen |
Grundstücksfläche | 17’961 m² |
Nutzfläche (HNF) | 18’998 m² |
Baubeingabe | Oktober 2024 |
Baubeginn | Mai 2025 (geplant) |
Fertigstellung | Q2 2028 |
Im Rücken das letzte innerstädtische Industrieareal, davor rattert ein Tram über die Hardstrasse und der Individualverkehr rauscht auf der darüberliegenden Hardbrücke, einer der wichtigsten Verkehrsachsen der Stadt Zürich. Rechts das schicke Bürogebäude am Schiffbauplatz, links eines aus der Mitte des letzten Jahrhunderts. Fussgänger, Velos, Parkplätze und mittendrin Bahngeleise, auf welchen Güterzüge täglich Getreide zur Mühle am Sihlquai transportieren. Ab und zu ein paar Bäume und Rabatten mit etwas Verlegenheitsgrün. Das neue Geschäftshaus an der Hardstrasse 299/301 liegt nicht eben an Zürichs grüner Lunge. Und es fällt auf.