Sicherheit geht vor
Unangekündigt stehen die beiden Verantwortlichen für Arbeitssicherheit (KOPAS), Beate Holz und Sebastian Gertsch, an einem Donnerstagmorgen auf einer Grossbaustelle von Allreal in Adliswil. Mindestens einmal im Monat führen sie ein Sicherheitsaudit auf einer Baustelle durch. Seit der Einführung der Sicherheitsprüfungen im Jahr 2016 haben sich die Sicherheitsrisiken und die Zahl der Unfälle auf den Baustellen von Allreal deutlich reduziert.
«Ganz überraschend sind unsere Besuche dann doch nicht», gibt Sebastian Gertsch auf Nachfrage zu. Jeweils am Vorabend werde der verantwortliche Bauleiter kurz informiert. Die knappe Vorlaufzeit reicht aber nicht, um die Baustelle in einen komplett anderen Zustand zu versetzen. «Es hilft ihnen aber bei der Tagesplanung», so Gertsch. Grundsätzlich sei es wichtig, die Baustelle in dem Zustand zu inspizieren, in dem sie auch in Betrieb sei.
Beate Holz und Sebastian Gertsch wissen, wovon sie reden. Beide sind in der Bauleitung von Allreal tätig und nehmen die Funktion als KOPAS als zusätzliche Tätigkeit wahr. «Dass wir unseren Kolleginnen und Kollegen auf die Finger schauen, führt aber eigentlich nie zu Diskussionen», so Gertsch. Einerseits seien sie gerade deshalb auch glaubwürdig, weil sie die Herausforderungen aus dem eigenen Alltag kennten, und andererseits sei es auch nicht das Ziel, die Kollegen schlechtzumachen, sondern sie bei dem wichtigen Thema Arbeitssicherheit zu unterstützen. «Der Blick von aussen und die von uns abgegebenen Empfehlungen sind eine Arbeitshilfe und eine Unterstützung für die Bauleitung», so Sebastian Gertsch. Zudem würden dadurch alle für das Thema sensibilisiert und in der Konsequenz die Sicherheit auf den Baustellen erhöht.
Der Blick von aussen und die von uns abgegebenen Empfehlungen sind eine Arbeitshilfe und eine Unterstützung für die Bauleitung.
Anzahl erheblicher Sicherheitsrisiken halbiert
Arbeitssicherheit hat bei Allreal hohe Priorität. Der Fokus liegt dabei auf den Baustellen. Seit der Einführung der regelmässigen Sicherheitsaudits und der konsequenten Aufzeichnung von Unfällen auf den Baustellen haben sich die erheblichen Sicherheitsrisiken auf den Baustellen halbiert. Im vergangenen Geschäftsjahr hatten sich bei Allreal insgesamt vier Personen während der Arbeitszeit leicht verletzt, was gerade mal 2.18 Fälle pro 200 000 geleisteten Arbeitsstunden sind. «Unser Ziel bleibt es, diese Quote stetig wieder zu reduzieren», so Beate Holz.
«Wir starten das Sicherheitsaudit immer auf dem Dach», erklärt sie zu Beginn des Rundgangs. Die ausgebildete Bauzeichnerin Ingenieurbau und eidg. dipl. Bauleiterin arbeitet seit mehr als vier Jahren in der Bauleitung von Allreal. Das Thema Sicherheit wird auch in der Bauleiterschule grossgeschrieben. «Mit der Zusatzaufgabe als KOPAS haben wir den Grundkurs Sicherheitsbeauftragter abgeschlossen und konnten uns nochmals mit den aktuellen Bestimmungen vertraut machen», so Holz. Obwohl die Aufgabe Verantwortung und einen Zusatzaufwand bedeutet, schätzt sie diese Tätigkeit sehr, weil sie dadurch von Zeit zu Zeit den Mikrokosmos der eigenen Baustelle verlassen kann. «Es ist eine sinnvolle und wichtige Aufgabe, die ich gerne wahrnehme.»
Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Arbeitssicherheit finden sich in verschiedenen Gesetzesquellen. Wie diese Vorschriften umzusetzen sind, wird in verschiedenen Verordnungen geregelt, unter anderem in der Bauarbeitenverordnung. Daneben gibt es verschiedene Unterlagen, unter anderem von der Suva, die bei der konkreten Umsetzung helfen. Dazu gehören die acht lebenswichtigen Regeln im Hochbau, die bei den Sicherheitsaudits speziell im Fokus stehen: Absturzkanten sichern, Bodenöffnungen verschliessen, Lasten richtig anschlagen, mit Fassadengerüst arbeiten, tägliche Gerüstkontrolle, sichere Zugänge, Persönliche Schutzausrüstung, Gräben und Baugruben sichern.
Eine nachhaltige Veränderung ist nur möglich, wenn das Thema Arbeitssicherheit Teil der Unternehmenskultur ist.
Absolute Sicherheit gibt es nicht
«Bei unserem heutigen Audit fokussieren wir vor allem auf das Gerüst sowie das Sichern von Absturzkanten und Bodenöffnungen», so Sebastian Gertsch. Für die Sicherheitsaudits braucht es ein gutes Auge und auch einen gesunden Pragmatismus. «Die perfekte Baustelle, die keinerlei Mängel hinsichtlich der Sicherheit aufweist, gibt es – leider – nicht», so Gertsch. Eine Baustelle lebt, Material wird angeliefert, muss gelagert und bewegt werden, es gibt verschiedene Arbeitsgattungen, die gleichzeitig auf Platz sind und ihre Arbeit in einem bestimmten Zeitfenster erledigen müssen. Dadurch verändern sich auch die Gefahrenzonen immer wieder. «Die absolute Sicherheit gibt es auf der Baustelle nicht», so Gertsch. Vielmehr müsse die Sicherheit immer wieder kontrolliert und fortlaufend instand gestellt werden.
Ein gutes Beispiel für diese Herausforderung zeigt sich bei den aktuellen Arbeiten für das dritte Obergeschoss in diesem Neubau in Adliswil. Hier wird gerade die Schalung für das Betonieren der Decke vorbereitet. Auf Schalungsträgern sind Schaltafeln verlegt und sichern die Bodenöffnungen. Kleinere Löcher sind aber noch offen. «Zum jetzigen Zeitpunkt sind diese Bodenöffnungen nicht vorschriftsmässig gesichert», erklärt Sebastian Gertsch. «Es ist aber klar, dass die Leute, die hier arbeiten, gerade dabei sind, diese Sicherheitsmassnahme umzusetzen.» Das sei typisch für eine Baustelle. Der Zustand verändert sich laufend. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass Sicherheit nicht an eine einzelne Person delegiert wird, sondern dass alle mitdenken. «Eine nachhaltige Veränderung ist nur möglich, wenn das Thema Arbeitssicherheit Teil der Unternehmenskultur ist», mahnt Beate Holz.
Führungspersonen müssen Vorbilder sein
Aus dem dritten Stock lässt sich die Baustelle gut überblicken. Die beiden KOPAS finden trotz ihres kritischen Blicks auch Positives. «Die Baustelle ist wirklich gut aufgeräumt», konstatiert Sebastian Gertsch. Im Protokoll, welches nach Abschluss des Audits an den verantwortlichen Bauleiter und seine Vorgesetzten übermittelt wird, wird er dies als grünen Punkt in einem Ampelsystem hervorheben. «Ordnung auf der Baustelle verbessert auch die Sicherheit. Es gibt weniger Stolperfallen und die Fluchtkorridore sind stets zugänglich. Das ist leider nicht überall so gut gemacht wie hier, weshalb wir diesen Punkt hervorheben werden», sagt er. Für das Protokoll zum Sicherheitsaudit greift Allreal auf ein einfaches, aber klares Ampelsystem zurück: Wird eine Situation mit Rot bewertet, wird der betreffende Arbeitsbereich abgesperrt und darf erst wieder geöffnet werden, wenn der Sicherheitsmangel behoben ist. Gelb sind geringere Mängel und allgemeine Beobachtungen, welche zur Verbesserung der Arbeitssicherheit beitragen können. Und Grün zeichnet besonders positive Feststellungen aus.
Nachdem das Gerüst und die oberen Stockwerke besichtigt sind, steigt das Duo ins Untergeschoss. Nach kurzer Zeit wähnt man sich hier eher in einer Höhle als im Kellergeschoss eines Neubaus. Die LED-Lichtschlange reicht nicht bis in die hintersten Räume, entsprechend dunkel ist es da. «Das ist natürlich nicht optimal», meint Beate Holz. Zwar würden aktuell keine Arbeiten im Untergeschoss ausgeführt, die Räume seien aber Teil des Fluchtwegs und müssten sicher passierbar sein.
Im Rahmen des Sicherheitsrundgangs inspizieren die beiden KOPAS auch die Stromverteiler auf der Baustelle. Die Geräte müssen regelmässig gewartet werden, was auf dieser Baustelle der Fall ist. «Am Schluss sind es grosse und kleine Dinge, die beachtet werden müssen, damit wir eine sichere Arbeitsumgebung zur Verfügung stellen können», so Beate Holz. Es seien deshalb vor allem die Poliere und die Bauleitung, die die Sicherheitskultur vorleben müssten, damit sie auch umgesetzt werde. «Wenn bereits die leitenden Personen ihre Verantwortung nicht wahrnehmen, wird es extrem schwierig, von allen anderen den nötigen Einsatz einzufordern.»
Nachdem der Rundgang abgeschlossen ist, gibt es eine kurze Nachbesprechung: Welche Punkte sind aufgefallen? Was gilt es zu verbessern und worauf soll im Protokoll spezifisch hingewiesen werden? Die Beanstandungen haben die KOPAS fotografisch festgehalten. «Insgesamt sind wir zufrieden mit der Baustelle», so Sebastian Gertsch. Obwohl es einzelne Punkte gebe, die zu verbessern seien, könne der Baustelle ein sehr gutes Zeugnis ausgestellt werden. «Absolut», pflichtet Beate Holz bei. Es sei zudem offensichtlich, dass hier auch bei den Subunternehmern das Thema Arbeitssicherheit angekommen sei. «Das ist einfach das A und O, damit es klappt», so Beate Holz. «Am Ende des Tages zählt, dass alle wieder gesund nach Hause kommen.»