Vom Eis zum Office

Athletes Network ist eine Organisation, die sich um Berufssportler und -Sportlerinnen und deren Einstieg in die Berufswelt kümmert. Wer eine Sportkarriere verfolgt, macht dies meist hauptberuflich. Doch Sportkarrieren sind meist zeitlich limitiert, da der körperliche Alterungsprozess den sportlichen Erfolg irgendwann beeinträchtigt. Nicht selten kommt es also, dass ein Berufseinstieg in die Arbeitswelt erst Mitte dreissig, anfangs vierzig, in Angriff genommen wird. Athletes Network bietet die passende Plattform, um Sportlerinnen und Sportler mit Unternehmen zu verknüpfen. Auch Allreal ist begeistert vom Konzept und unterstützt Athletes Network jährlich mit einem finanziellen Beitrag und hat schon mehrere Sporttalente im Unternehmen begrüssen und integrieren dürfen.

Eine davon ist Marion Wüest. Die 21-jährige kommt aus einer Curlingfamilie. Bereits ihre Eltern haben professionell Curling gespielt und sie curlt seit sie acht Jahre alt ist. 2022 haben ihr Team und sie an der Curling Junioren-WM in Schweden den 5. Platz erreicht.

Ein Jahr später schaffen sie es an der WM in Deutschland auf den vierten Platz. Das Leben als Leistungssportlerin ist hart. Marion trainierte fünf bis sechs Mal in der Woche, sowohl auf dem Eis als auch abseits des Eises. Wirklich leben konnte sie finanziell davon nicht. Sponsoren oder Patenschaften decken lediglich die anfallenden Kosten wie Reisen, Startgelder oder Materialkosten. Sie machte deshalb neben dem Curlingspielen noch eine Lehre zur Bürokauffrau und schloss daran noch eine zweijährige Berufsmatura an. 2023 fasste Marion den Entschluss vom Spitzensport zurückzutreten und Curling als Hobby weiter zu betreiben.

Heute ist Marion in der Finanzabteilung von Allreal tätig. Soeben wurde ihr Praktikumsvertrag auf einen unbefristeten Festanstellungsvertrag umgeändert. Mehr über ihr turbulentes und aufregendes Leben als Spitzensportlerin erzählt sie uns im Interview.

Was fasziniert dich am Curling?

Am Curling fasziniert mich die Kombination aus Präzision, Teamwork und Strategie. Es ist ein Sport, der auf den ersten Blick vielleicht ruhig und langweilig scheint, jedoch erkennt man beim genaueren Hinsehen, wie herausfordernd und intensiv der Sport sein kann.
Die Präzision, mit der die Spieler den Stein spielen müssen, um ihn genau an der richtigen Stelle positionieren zu können, ist beeindruckend. Ein kleiner Fehler in der Geschwindigkeit oder in der Linie kann einen riesigen Unterschied im Ergebnis ausmachen. Ausserdem ist Curling ein Sport, bei dem Teamwork von entscheidender Bedeutung ist. Die vier Spieler oder Spielerinnen müssen auf dem Eis koordiniert zusammenarbeiten, um die besten Ergebnisse zu erzielen. Man gewinnt oder man verliert einen Match nur als Team. Es ist auch viel strategisches Denken erforderlich. Es geht nicht nur darum, den eigenen Stein richtig zu platzieren, sondern auch darum, die Steine des Gegners einzuschätzen, um so den Spielverlauf zu kontrollieren.

Deine Eltern waren auch Curlingprofis. Redet ihr Zuhause auch über anderes oder nur übers Curling

Klar, Curling ist ein grosses Thema bei uns Zuhause. Bis vor Kurzem war dies auch mein halber Lebensinhalt, was natürlich viel Gesprächsstoff am Familienesstisch gab. Inzwischen sind wir jedoch alle vom Profisport zurückgetreten. Nun ist auch Platz für viele andere Gesprächsthemen entstanden.
Mittlerweile spielt die halbe Familie, wie viele andere Curling-Spieler auch, nebenbei Golf, was diesen Sommer 2023 als Gesprächsthema dominierte. Im Winter wird die ganze Familie allerdings wieder auf dem Eis stehen. Dann wird es um das Thema Curling kein Drumherum geben. Ich selbst bin jedoch nicht im Golffieber und bringe gerne alltägliche Themen wie die Arbeit, Freunde oder gemeinsame Erlebnisse zur Sprache.

Was ist die grösste Herausforderung im Curling?

Die grösste Herausforderung im Curling ist die Fähigkeit zur Konzentration und Präzision über die gesamte Dauer eines Spiels hinweg. Ein Spiel kann von zwei bis zu drei Stunden dauern. Kleine Fehler in der Ausführung oder im strategischen Denken können zu grossen Veränderungen im Spielverlauf führen.

Was ist die grösste Herausforderung, wenn man Sport auf Profiebene ausführt?

Der Profisport erfordert oft erhebliche Opfer von den Athleten. Sie müssen auf viele soziale Aktivitäten verzichten und einen Grossteil ihrer Zeit dem Training, den Wettkämpfen und der Erholung widmen. Ausserdem stehen Profisportler unter einem immerwährenden Druck, auf höchstem Niveau zu konkurrieren. Die Erwartungen von Trainern, Sponsoren, Verband oder Teamkollegen sind hoch und bringen einige Sportler an ihre Grenzen.
In den meisten Sportarten, da gehört Curling leider dazu, kann man finanziell nicht vom Sport leben. Man muss also, neben der Sportkarriere, eine berufliche Karriere verfolgen.
Es gibt Sportarten, die sich finanziell auszahlen, aber nur, solange man stets erfolgreich ist. Und wenn man aus finanziellen Gründen immer erfolgreich sein muss, übt dies einen zusätzlichen enormen Druck auf Sporttreibende aus. Man kann es sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht leisten, schlecht zu performen.
Hinzu kommt ausserdem die Verletzungsgefahr, die im Profisport omnipräsent ist. Die Intensität beansprucht Körper und Geist extrem. Verletzungen können schliesslich nicht nur die körperliche und die geistige Gesundheit gefährden, sondern auch die sportliche Karriere.

Bringt ein/e Profisportler/in vom Athletes Network andere Eigenschaften/Skills mit ins Büro als ein «normaler» Angestellter, bzw. eine «normale» Angestellte?

Ja, Profisportler, bzw. Profisportlerinnen, können eine Reihe von Eigenschaften und Fähigkeiten aus ihrer sportlichen Karriere mit ins Büro bringen, die sie von anderen unterscheidet. Sie sind grösstenteils überdurchschnittlich diszipliniert und haben Ausdauer, um sich auf langfristige Ziele konzentrieren zu können. Ausserdem sind Sportler motiviert, persönliche Bestleistungen zu erzielen. Diese Haltung treibt sie auch im Büro an, ihre beruflichen Ziele zu verfolgen und Erfolg anzustreben. Ein weiterer erwähnenswerter Wesenszug von Sporttreibenden ist die Fähigkeit zur Stressbewältigung. Profisportler sind sich gewöhnt, unter Druck zu arbeiten und in stressigen Situationen einen klaren Kopf zu bewahren und ihre Leistung zu bringen.

Welche Skills, die du im Profisport gelernt hast, bringst du mit zu Allreal?

Zeitmanagement und Stressresistenz.

Du hast Sommer 2023 den Leistungssport aufgegeben. Wieso?

Ich bin in dem Alter, in dem der Wechsel von den Junioren zur Elite stattfindet. Mit diesem Wechsel steigt auch der Druck, also die Erwartungen und schliesslich der Aufwand auf und neben dem Eis. Mir wurde alles zu viel. Ich habe gemerkt, wie sich mein Fokus in den letzten Monaten mehr auf das Private verlegt hat. Die Ziele, welche wir im Curling verfolgen wollten, habe ich für mich selbst hinterfragt und bin zum Schluss gekommen, dass dies nicht meine Ziele für die Zukunft sind.
Ich habe im Sommer 2023 meine Berufsmatur abgeschlossen und stehe somit auch vor einer beruflichen Entscheidung. Durch Athletes Network habe ich die Stelle bei Allreal gefunden, welche mir so gut gefällt, dass ich mich nun mehr auf die Arbeit und mein Umfeld konzentrieren und das Curling nun als Freizeitbeschäftigung ausüben möchte.

Was kannst du jetzt, wo du mit Leistungssport aufgehört hast, tun, was du vorher nicht konntest?

Ich kann spontan meine Wochenenden planen, ohne dass ich den Turnierkalender im Kopf haben muss. Ich habe viel mehr Zeit für Freunde, Familie und mich selbst. Auch Ferien während der Saison sind nun möglich. Ausserdem ist mein Sommer nun auch tatsächlich eine Pause.